Green Logistics 4.0

1. Ausgangslage/Handlungsbedarf

Die Speditionswirtschaft befindet sich aufgrund der Covid19 Pandemie seit dem Frühjahr 2020 in ei­nem Krisenmodus. Für das Jahr 2020 erwartet die Branche einen Rückgang der Brutto-Wertschöp­fung von knapp 9% trotz vermehrter Online-Bestellungen. Durch die Abhängigkeit von Handel und Industrie differenzieren sich die Schwankungen entlang bestimmter Branchen dabei sehr unter­schiedlich aus: während der Bereich der Lebensmitteltransporte und von Gütern des täglichen Be­darfs nahezu kon­stant bleibt, sind andere Branchensegmente besonders hart betroffen (z.B. Automobilzulieferung, Be­kleidung). Auch sind internationale Lieferketten verstärkt betroffen, etwa durch Grenzschließungen, den Brexit und den ökonomischen Lockdown in bestimmten Industriezweigen. Hier erwarten Experten u.a. ein Re-Design von Lieferketten verbunden mit neuen Anforderungen an die Kooperation in inter­nationalen Liefernetzwerken.

Nach den Erfahrungen mit der Covid19 Pandemie streben viele Speditionsunternehmen nun an, besser auf mögliche weitere sogenannte ‚disruptive Veränderungen‘ vorbereitet zu sein. Hierzu gehören zum Beispiel

  1. die Verbesserung der Trendbeobachtung, um etwa Entwicklungen im Umfeld des Unterneh­mens mit hoher Bedeutung für das eigene Geschäft transparenter zu machen,
  2. die Erarbeitung von Strategien zur flexibleren Anpassung des Geschäftsmodells an sich än­dernde Umwelt-, Markt- und Wettbewerbsbedingungen und
  3. die Entwicklung konkreter Anpassungsmaßnahmen auf Unternehmens- und Beschäftigten­ebene.

Einer der wichtigsten Treiber für die Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft ist dabei künftig zweifellos der Klimawandel. Die dort absehbaren Veränderungen werden die Unternehmen und Be­schäftigten in Zukunft vor noch größere Herausforderungen stellen als die derzeitige Covid19 Pande­mie, da knapp über 20% des CO2-Ausstoßes in Deutschland auf die Logistik zurückgeht. Die Herausfor­derungen gewinnen dabei zusätzlich an Gewicht, weil die Sensibilität für die Folgen des Klimawandels auch mit den neuen Generationen Y und Z, also den jetzt auf den Arbeitsmarkt drängenden jüngeren Menschen, enorm gestiegen ist. Hier vollzieht sich insgesamt ein Wertewandel in der Gesellschaft, der den Unternehmen neue Verantwortungen für umweltverträgliches Handeln zuweist. So machen jün­gere Fachkräfte immer häufiger ihre Entscheidung für einen bestimmten Arbeitgeber davon abhängig, welches Umweltimage das jeweilige Unternehmen besitzt. Auch entscheiden sich immer mehr Kun­den, denen man ein glaubhaftes positives Umwelthandeln vermittelt, bei gleichem Angebotspreis im Wettbewerb für das „grüne Unternehmen“.

Schließlich erhöht sich auch der Druck von der Kundenseite mit Blick auf umweltorientiertes Wirtschaf­ten. So wird im Rahmen von Ausschreibungen öffentlicher aber zunehmend auch privater Auftragge­ber mehr und mehr verlangt, für die angebotene Logistik-Leistung auch den Umwelt-Ressourcenver­brauch bzw. die CO2-Äquivalente oder den Carbon Footprint darzulegen. Zuletzt ist im Kontext des Klimawandels auch auf die kontinuierliche Verschärfung der Regelungsdichte (Umwelt-/Abgasvor­schriften etc.) hinzuweisen, die in den Logistikunternehmen zusätzliche Aufgaben im Rahmen des Compliance-Managements begründen.

Der Druck zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit geht also von allen Seiten aus: von der Gesetz­gebung, von den Kunden und von den Beschäftigten. Aufgrund der Corona-Krise haben die Unterneh­men jedoch erkannt, nicht auf zunehmenden Druck zu warten, sondern pro-aktiv zu handeln.

2. Ziel des Projektes Green Logistics 4.0

In der Logistikbranche hat sich längst die Erkenntnis herausgebildet, dass digitalisierte Unternehmen aktuell besser durch die Krise gekommen sind, was insbesondere auch die Motivation von Nachzüglern im Bereich der Digitalisierung anspornt und den Blick in die Zukunft, d.h. insbesondere auf den Klima­wandel schärft. Die Digitalisierung birgt ein längst noch nicht ausgeschöpftes Potenzial für eine Ver­besserung der Umweltleistung und der Wirtschaftlichkeit in Speditions- und Logistikunternehmen.  

Ziel des hier beschriebenen Projektes ist es, zum einen diese Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Logistik in kleinen und mittleren Unternehmen der Speditionswirtschaft zu erschließen. Dies soll geschehen durch Erarbeitung

(1) eines Reifegradmodells „Green Logistics 4.0“ zur Orientierung der Unternehmen an den Möglich­keiten des digitalen Wandels für eine Verbesserung der Effizienz und Umweltleistung,

(2) von „Beispielen guter Praxis“ im Rahmen von Fallstudien mit den beteiligten Unternehmen und

(3) eines darauf aufbauenden umfassenden Qualifizierungsprogramms für die Beschäftigten und Füh­rungskräfte.

Ein zentrales Anliegen des Vorhabens ist zudem, die kleinen und mittleren Speditionsunternehmen insbesondere im Querschnittsthema „Change-Management“ zu ertüchtigen. Ziel ist es, Kompetenzen für eine lernende Organisation zu vermitteln, die eine deutlich verbesserte und nachhaltige Anpas­sungsfähigkeit des Unternehmens an weitere disruptive Veränderungen (wie Brexit, Klimawandel) er­möglichen.

Zielgruppen des Vorhabens sind alle Berufsgruppen in der Logistik, von Ungelernten über Angelernte bis zu Fach- und Führungskräften.

Das Reifegradmodell „Green Logistics 4.0“ wird anschlussfähig an das im Vorprojekt erfolgreich entwi­ckelte Reifegradmodell „Logistik und Arbeiten 4.0“ gestaltet und somit konstruktiv eine Roadmap zur jeweils nächsten Entwicklungsstufe auf dem Weg zu einer „Grünen und Nachhaltigen Logistik“ skizzie­ren.

Zusammengefasst soll das hier beschriebene Vorhaben vor diesem Hintergrund folgende Fragen be­antworten: Wie kann die digitale Transformation und ein entsprechendes Change-Management zu mehr Nachhaltigkeit des Transport- und Logistiksektors und höherer Widerstandsfähigkeit gegenüber disruptiven Herausforderungen wie die COVID19 Pandemie beitragen?

Die beschriebene Zielsetzung liegt im Kernanliegen des Programms REACT-EU zur Unterstützung der Krisenbewältigung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und zur Vorbereitung einer grünen, digitalen und stabilen Erholung der Wirtschaft (COM(2020) 451 final), ist für alle Beschäftigten unabhängig vom Geschlecht und anderer Differenzierungsmerkmale relevant, legt den Fokus auf die Verbindung von Innovation durch Digitalisierung und Prävention zur Bewältigung des Klimawandels und ist aufgrund der direkten Einbindung von Unternehmen und des Branchenverbandes zentral auf einen breiten Transfer der Ergebnisse ausgerichtet.